Wirtschaftsnobelpreis 1991: Ronald Harry Coase

Wirtschaftsnobelpreis 1991: Ronald Harry Coase
Wirtschaftsnobelpreis 1991: Ronald Harry Coase
 
Der britische Wirtschaftswissenschaftler erhielt den Nobelpreis für die Klärung der Bedeutung der Transaktionskosten und der Eigentumsrechte.
 
 
Ronald Harry Coase, * Willesden (heute zu London) 29. 12. 1910; 1932-34 Dundee School of Economics and Commerce, 1934-35 University of Liverpool, 1935-51 London School of Economics, 1958-59 University of Buffalo, 1958-64 University of Virginia, 1964-79 University of Chicago.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
auf gerade einmal zwei Veröffentlichungen, noch dazu publiziert in einem Zeitabstand von 23 Jahren, gründet die Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahr 1991 an Ronald Harry Coase. Mit beiden insgesamt nur 63 Seiten kurzen Artikeln, die wohl zu den meistzitierten Beiträgen der Ökonomik zählen, bereitet Coase das Fundament für die Entwicklung einer der theoretisch fruchtbarsten Disziplinen in der ökonomischen Theorie: die neue Institutionenökonomik.
 
 Die Institution »Unternehmen«
 
Ronald Harry Coase wird am 29. Oktober 1910 in einem Londoner Vorort geboren. 1929 schreibt er sich an der berühmten London School of Economics im Fach Betriebswirtschaftslehre ein, wo er bereits 1931 sein Examen ablegt. Ein Reisestipendium in die USA ermöglicht ihm 1931/32 die Untersuchung der Strukturen der amerikanischen Industrie. Die Beobachtung, dass verschiedene Industriezweige zum Teil völlig unterschiedliche Organisationsformen aufweisen, führt Coase zu der Frage nach den Bestimmungsgründen der unternehmerischen Organisation. Obwohl die Erforschung des unternehmerischen Handelns von jeher einen Schwerpunkt der ökonomischen Analyse darstellt, wurde das viel grundlegendere Problem, weshalb es überhaupt eine Institution wie Unternehmen gibt, bis dahin theoretisch nicht befriedigend beantwortet. Schon seit den Tagen von Adam Smith, dem Gründervater der modernen Wirtschaftswissenschaften, gelten die produktivitätssteigernden Wirkungen von Arbeitsteilung, Spezialisierung und marktwirtschaftlichem Tausch als die Quellen des Wohlstands. Warum, so das Problem, vor das sich Coase gestellt sieht, gibt es dann hierarchisch gegliederte Unternehmen mit oftmals beachtlicher Größe, in denen eine zentrale Unternehmensleitung existiert, die quasi-planwirtschaftlich den Produktionsprozess organisiert? Wenn die Vorteile des Preismechanismus und des dezentralen Tauschs am Markt so groß sind, weshalb werden dann nicht alle Vorleistungen aus dem Unternehmen ausgegliedert und extern von eigenständigen, kleinen Firmen bezogen?
 
Die Antwort, die Coase findet, und die er in seinem Beitrag »The Nature of the Firm« (1937) erstmals publiziert, ist verblüffend einfach: Die Nutzung des marktwirtschaftlichen Preismechanismus ist nicht kostenlos. Jeder Handel, jeder Vertragsschluss am Markt ist stets mit Kosten für die Suche nach geeigneten Vertragspartnern (Anbietern oder Nachfragern) verbunden. Es entstehen ferner Kosten für die Formulierung von Verträgen und für die Überwachung der Vertragseinhaltung. Kurz: es entstehen so genannte »Transaktionskosten«. Je höher diese sind, umso günstiger ist es, eine hierarchische Organisationsform zu wählen. Warum aber, so die Folgefrage, sollte dann nicht alles in einer einzigen, sehr großen Unternehmung produziert werden? Auch hier die Antwort von Coase: Es liegt an den Transaktionskosten der unternehmensinternen Koordination. Je größer eine Firma wird und je mehr Produktionsstufen in die Unternehmung integriert sind, umso höher sind auch die Kosten der Kontrolle für die Unternehmensleitung. Der Planungs- und Organisationsprozess wird immer komplexer, und es besteht die Gefahr der Entwicklung einer ausufernden Bürokratie. Die optimale Größe einer Firma wird somit nach Coase durch die Transaktionskosten der unternehmensinternen und der firmenexternen Koordination bestimmt.
 
Die Darlegungen von Coase bleiben fast 30 Jahre weitgehend unbeachtet, bis sich seit Ende der 1960er-Jahre eine wachsende Zahl von Forschern dem Feld der Transaktionskostenökonomik zuwendet. Es kann gezeigt werden, dass die Höhe der Transaktionskosten insbesondere von der Art der produzierten und gehandelten wirtschaftlichen Leistungen abhängt. Je stärker sich der Anbieter und der Nachfrager eines Gutes durch den Vertragsschluss voneinander abhängig machen — man spricht hier von einer hohen Spezifität der Vertragsbeziehung — und je häufiger sich die Transaktion im Zeitablauf wiederholt, umso höher sind die Transaktionskosten der externen Koordination mit einem Marktpartner und umso vorteilhafter ist der Zusammenschluss in einem Unternehmen. Für standardisierte Produkte erweist sich dagegen ein Fremdbezug als transaktionskostengünstiger. Der erste Beitrag von Coase liefert somit eine ökonomische Erklärung für die Entstehung unterschiedlicher Organisationsformen in vielen verschiedenen Branchen.
 
 Das Coase-Theorem
 
Auch die zweite für die Preisverleihung ausschlaggebende Publikation von Coase, »The Problem of Social Cost« (1960), hat zumindest indirekt die Transaktionskosten zum Thema. Nachdem Coase 1951 in die USA geht, arbeitet er an einer Studie über die Zuweisung von Rundfunk- und Fernsehfrequenzen durch den Staat. Eine Hauptfrage ist dabei, welche Rechte die Lizenzerwerber durch die Frequenzzuteilung erhalten sollten. Coase formuliert den Gedanken, dass nicht nur die physischen Funktionen eines Guts deren relevante (Nutzen stiftende) Eigenschaft darstellen, für die ein Erwerber zu zahlen bereit ist, sondern die an den Gütern definierten »Verfügungsrechte«. Er kann zeigen, dass die Struktur der handelbaren Rechte von ausschlaggebender Bedeutung für die Effizienz einer Volkswirtschaft ist. Sind die Verfügungsrechte an einem Gut nicht klar bestimmt oder sind sie rechtlich nur schwer durchsetzbar, so mindert dies den ökonomischen Wert eines Guts für den Eigentümer und führt zu einer volkswirtschaftlich ineffizienten Nutzung des Guts. Das nach ihm benannte »Coase-Theorem«, das heute in keinem Volkswirtschaftslehrbuch fehlt, demonstriert, dass es aus Effizienzgesichtspunkten irrelevant ist, wem die Verfügungsrechte an einem Gut zustehen — solange die Rechte frei handelbar sind, werden sie immer von demjenigen gekauft, der den Rechten den höchsten Wert beimisst. Hohe Transaktionskosten sind aber oft die Ursache dafür, dass Verfügungsrechte weder eindeutig definiert noch gehandelt werden können. Die Überlegungen von Coase haben weit reichende Folgen für zahlreiche Bereiche nicht nur der Ökonomik, sondern etwa für das Umwelthaftungsrecht. So zeigt das Theorem, dass in einer Welt ohne Transaktionskosten das Problem einer Übernutzung knapper Umweltressourcen nicht auftreten würde, da es dann möglich wäre, eindeutige und durchsetzbare Rechte an einer sauberen Umwelt festzulegen. Erst wenn man Transaktionskosten berücksichtigt, wird deutlich, dass unterschiedliche institutionelle Formen der Ausgestaltung und der Zuteilung von Nutzungsrechten in höchstem Maß bedeutsam dafür sind, ob (Umwelt-)Ressourcen effizient genutzt werden.
 
Wenngleich Ronald Coase in seinen Arbeiten immer sehr konkrete praktische Einzelprobleme zum Ausgangspunkt nimmt, liegt die Bedeutung seiner Theorien vor allem in ihrer weit reichenden Anwendbarkeit. Coase eröffnet vor allem den Blick für den Zusammenhang zwischen den rechtlichen Institutionen eines Staates und den dadurch verursachten volkswirtschaftlichen Kosten. Er liefert damit nicht nur die Basis für die Entwicklung einer ökonomischen Analyse von einzelnen Rechtsvorschriften, sondern gleichermaßen das Fundament für die Untersuchung wirtschaftshistorischer Zusammenhänge, wie sie etwa vom späteren Nobelpreisträger Douglass C. North (1993) vorgenommen werden.
 
H. Pitlik

Universal-Lexikon. 2012.

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